Sy Montgomery: Das herzensgute Schwein

  Vom Leben mit einem Mordsschwein

Manche Leute sagen, das Glück landet so federleicht auf dir wie ein Schmetterling. Das kann schon sein. Aber manchmal kommt das Glück auch schwerfällig angetrottet wie ein fettes, vollgefressenes Schwein und lässt sich plumps! neben dir fallen. (S. 202)

Sy Montgomery, 1958 während der Stationierung ihres Vaters in Frankfurt geborene US-amerikanische Naturforscherin und Autorin von Naturliteratur für Erwachsene und Kinder, schreibt gewöhnlich über exotische Tiere wie Oktopusse, rosa Delfine oder bengalische Tiger. 2006 erschien jedoch ein Buch unter dem Titel The good good pig über ihr schwarz-weißes Hausschwein Christopher Hogwood. Es erlebte von 1990 bis 2004 14 glückliche Jahre auf ihrem über 100 Jahre alten Bauernhof in Hancock, einer kleinen Stadt in den Wäldern von New Hampshire, und bildete mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Howard Mansfield, ihrem Border Collie Tess und ihren Hühnern, genannt „die Ladies“, ihre Familie und ihren Ruhepunkt zwischen den Forschungsreisen.

© B. Busch

„Der Rest der Geschichte ist Speck.“ (Howard Mansfield)
Christopher Hogwood kam als überzähliges, halb verhungertes und todkrankes Ferkel in einer Schuhschachtel zu Sy Montgomery, einer Tierfanatikerin seit Kindertagen. Nachdem er wider Erwarten überlebte, wuchs er – nach dem Dirigenten und führenden Musikwissenschaftler für Alte Musik Christopher Hogwood benannt – über die Jahre zu einem 7,5 Zentner schweren Tier heran, das mit seiner „diabolischen Intelligenz“, seiner Zielstrebigkeit und Kraft jedes Ausbruchshindernis überwand, wie eine Naturgewalt Löcher in den eigenen und fremde Gärten wühlte, den Freundes- und Bekanntenkreis des Besitzerpaares vervielfachte und überregional bekannt wurde durch Presseorgane wie den Boston Globe, USA Today, die Washington Post und verschiedene Fernsehstationen:

Er besaß die gravitätische Würde, die jede wahrhaft große Persönlichkeit auszeichnet. (S. 153)

Christopher genoss sichtlich sein unbedrohtes Luxusleben mit „Pig Palace“ und „Chicken Chalet“ im „eberzentrischen“ Haushalt einer „schweinesüchtigen“ Vegetarierin und eines Juden. Mit Seligkeit reagierte er auf jede Form der Zuwendung:

Christopher liebte Gesellschaft. Er liebte gutes Essen. Er liebte die warme Sommersonne, und er liebte es, gestreichelt zu werden. Er liebte das Leben. (S. 260)

Unterhaltsam, herzerwärmend, aber auch ein bisschen bedenklich
Sy Montgomery erzählt mit Hingabe und sehr, sehr viel Zuneigung über die Jahre mit ihrem Schwein. Interessante biografische Episoden, Wissenswertes rund um Schweine und die Aufzählung unzähliger Unterstützerinnen und Unterstützer nehmen einen großen, letzteres für meinen Geschmack etwas zu großen Raum ein. Obwohl ich ihre Tierliebe und ihren übermächtigen Respekt für die Natur bewundere, war mir doch bei der Beschreibung der Fütterung und Medikation oft nicht wohl. Es ist schockierend, was hier bedenkenlos als Abfall firmiert, und um Christopher zu etwas zu „überreden“, werden durchaus auch Schachteln mit Schokoladen-Donats oder Bier extra erstanden. Umwerfend ist aber Sys trockener Humor und der ihres Mann, der während ihrer Abwesenheit klaglos den Miniaturzoo versorgt:

„Ist euer Christopher eigentlich intelligent?“, fragten die Leute uns häufig.
„Er ist jedenfalls schlauer als wir“, gaben Howard und ich dann bereitwillig zu. „Er hat Mittel und Wege gefunden, zwei gut ausgebildete Universitätsabsolventen kostenlos für sich arbeiten zu lassen.“

Wer vor der Lektüre kein Schweinefan war, ist es hinterher garantiert!

Sy Montgomery: Das herzensgute Schwein. Aus dem Amerikanischen von Melusine Stern. Diogenes 2020
www.diogenes.ch

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